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Über die Hugenotten

Wer sie waren, woher sie kamen und warum sie flohen

Der Begriff „Hugenotte“ stammt möglicherweise vom alemannischen Wort „Eidgenosse“ ab und ist seit 1560 eine geläufige Bezeichnung für die religiöse Gruppe, welche den protestantischen Glauben nach den Lehren Johannes Calvins ausübt.

 

1520 begann die Reformation in Frankreich, wo die Hugenotten ihren Ursprung hatten. Jedoch exkommunizierte die katholische Kirche Luther und bis 1530 wurden die Anhänger des Protestantismus verfolgt und somit in den Untergrund gedrängt. Trotzdem schlossen sich immer mehr Menschen der Bewegung an, auch der spätere Reformator Johannes Calvin (1509 - 1564). Es wurden Gemeinden gegründet und zur Zeit der zweiten Nationalsynode 1561 hatten die Hugenotten schon ungefähr zwei Millionen Anhänger, „was ungefähr zehn Prozent der französischen Gesamtbevölkerung entsprach“.2)

Unter König Heinrich II. (1547 - 1559) nahm die Hugenottenverfolgung ihren Lauf: Die Kirche allein durfte Häretiker (= Menschen, die andersgläubige Meinungen vertraten oder lehrten) verurteilen, das einzig erlaubte Urteil war die Todesstrafe.

In der Bartholomäusnacht am 24. August 1572, dem grausamsten Ereignis in der Geschichte der Hugenottenkriege, wurden allein in Paris 3.000 und auf dem Land circa 20.000 Hugenotten ermordet, Kämpfende wie Wehrlose. Dies löste bereits erste Flüchtlingsströme aus.

Die 1598 durch Heinrich IV. erwirkte Ruhe (Edikt von Nantes) in Frankreich hielt nicht lange an; 1628 begannen weitere Unruhen. Ludwig XIV. trat die Nachfolge Heinrichs an und hetzte unaufhörlich gegen die Hugenotten. Er verbot, weil die Hugenotten weiter flüchteten, die Auswanderung und setzte den Höhepunkt mit dem Edikt von Fontainebleau 1685, mit dem er den Schutz der Hugenotten durch das Edikt von Nantes aufhob. Daraufhin flohen noch mehr Hugenotten ins Ausland, da ihnen ab diesem Moment innerhalb Frankreichs wieder Verfolgung und Haftstrafen drohten.

 

Insgesamt verließen in den nächsten 50 Jahren 200.000 Hugenotten ihre Heimat, suchten in anderen Ländern Schutz und Möglichkeiten, ein neues Leben zu beginnen. Nachdem Frankreich mit den Hugenotten eine große Zahl wirtschaftlich bedeutender Einwohner verloren hatte, brach die Wirtschaft des Landes zusammen. Verarmung vieler Bürger und hohe Schulden waren die Folge.

 

Es lag natürlich zum Teil an den Königen Frankreichs, dass die Hugenottenverfolgung derartig grausam voranschreiten musste. Allerdings hatte die Kirche zu dieser Zeit sehr viel Macht, und am Beispiel von Heinrich IV. lässt sich erkennen, dass kein Herrscher allein diese grausamen Ereignisse verhindern konnte. Vielmehr hätte die Kirche andere Maßnahmen ergreifen sollen, den katholischen Glauben aufrecht zu erhalten, als stumpfes Hinrichten von Andersgläubigen.

 

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Hugenotten#Untergrundkirche (zuletzt geprüft: 24.02.2017).


Über Kassel

Vorgeschichte und Wissenswertes zum Kassel dieser Zeit

Erstmals erwähnt wird Kassel im Jahr 913, das heißt, die Stadt blickt auf eine mehr als tausendjährige Entwicklung zurück. Bereits vor 1189 erlangte Kassel das Stadtrecht. Die Landesfürsten prägten entscheidend, über ein halbes Jahrtausend hinweg, die Entwicklung der Stadt. 1277 wurde Kassel Hauptresidenz des ersten hessischen Landgrafen Heinrich I. (regierte von 1247–1308) der neu geschaffenen Landgrafschaft Hessen.

 

Landgraf Philipp der Großmütige (regierte von 1509-1567) war ein überzeugter Anhänger der Lehre Martin Luthers und er schaffte es, dass Hessen innerhalb kürzester Zeit eine bedeutende Rolle im Machtspiel der deutschen und europäischen Protestanten erhielt. Klöster wurden aufgelöst und deren Vermögen zum größten Teil für die Hof- und Landesverwaltung verwendet. Das alles brachte Hessen einen wichtigen Modernisierungsschub sowohl in der staatlichen Verwaltung, als auch in Bildung und Forschung.

Landgraf Wilhelm IV. (regierte von 1567–1592) betrieb schon als Erbprinz im Schloss eine Sternwarte, die als erste fest eingerichtete im neuzeitlichen Europa gilt. Im neu angelegten Lustgarten des Landgrafen in der Fuldaaue ließ er exotische Pflanzen und als einer der ersten Fürsten Kartoffeln anbauen.Landgraf Moritz der Gelehrte (regierte von 1592–1627) erteilt 1596 den Auftrag, Handwerker aus den Niederlanden anzuwerben. Sie sollten die Technik, Leinen und Wolle zu feinen Tüchern zu verarbeiten und möglichst auch Samt und Seide zu weben, nach Hessen bringen.

 

Im Jahr 1599 gab es in Kassel 5265 Menschen. Sie lebten überwiegend von der Landwirtschaft, waren Handwerker und ab 1571 gab es auch Arbeit in der Braunkohleförderung. Die Kasseler waren damals sehr reinlich, denn am 22. September 1613 gab es eine neue Verordnung über das Sauberhalten der städtischen Straßen: „Alle Hausbesitzer müssen wöchentlich zweimal für die Reinigung der Gassen und Plätze sorgen. Versäumnisse kosten fünf Gulden Strafe.3)

Schon Anfang 1600 lud Landgraf Moritz wegen ihres Glaubens vertriebene Ausländer nach Kassel ein. Er gründete eine Ritterakademie und errichtete 1605 das Ottoneum als erstes feststehendes Theatergebäude der Neuzeit in Deutschland. Ab 1633 wurde Kassel für 20 Jahre Universitätsstadt. Danach wurde die hessische Landesuniversität in das wiedergewonnene Marburg zurückverlegt.

 

Um die Brandgefahr in der Stadt zu verringern, mussten 1637 alle Strohdächer auf den Häusern entfernt werden. Doch das schützte die Kasseler leider auch nicht vor zwei verheerenden Hochwassern in den Jahren 1643 und 1682.

Landgraf Karl (regierte von 1670–1730) hat das Stadtbild von Kassel wohl am meisten geprägt. Unter seiner Herrschaft entstanden die Karlsaue, das Marmorbad, die Orangerie und im Bergpark Wilhelmshöhe der Herkules, auch heute noch das Wahrzeichen Kassels.

 

3) http://www.kassel.de/stadt/geschichte/chronik/info/09468/index.html (zuletzt geprüft: 26.02.2017).


Die Hugenotten in Kassel

Von den 200.000 hugenottischen Glaubensflüchtlingen, die in Frankreich durch Staat und Kirche verfolgt und verurteilt wurden und ihre Heimat trotz Emigrationsverbot verließen, flohen viele nach Deutschland. Um 1600 wanderten die ersten Hugenotten ein. Sie ließen sich in Hanau nieder oder errichteten eigene Dörfer. Danach folgten erst 1685 weitere Flüchtlinge, dafür fast 50.000. Die Fürsten und Herzoge Deutschlands sahen in den Hugenotten, die als fleißig, fromm und engagiert galten, Chancen zur Verbesserung ihres Herzog- bzw. Fürstentums. Sie erhofften sich von den „Réfugiés“, dass sie einen Aufschwung in Wirtschaft und Gesellschaft brachten.

 

In Kassel wurden die Hugenotten ebenfalls friedlich aufgenommen. Der damals regierende Landgraf Karl erhoffte sich durch diese Freundlichkeit seinerseits die Beseitigung der Probleme, die die Region vom Dreißigjährigen Krieg davongetragen hatte. Landgraf Karl veröffentlichte folgendes Schreiben:

Die „Freyheits-Concession“ und ihre Auswirkungen

 

Diese „Freyheits-Concession und Begnadigung von Nordhessen, „[w]elche der durchlauchtigste Fürst und Herzog, Herzog Carl (...)(aus: „Freyheits-Concession“) erließ, erlaubte jedem Flüchtling, der sich in Karls Ländereien begab und eine nützliche Arbeit verrichten konnte, beispielsweise eine Manufaktur oder einen Laden betreiben, sich niederzulassen und Mitbürger eines Dorfes, einer Stadt oder auch der nordhessischen Hauptstadt Kassel zu werden. Darüber hinaus wurden den Flüchtenden (nicht direkt in dieser, aber in darauffolgenden Bekanntmachungen) besondere Privilegien zugesprochen: Für sie galt keine Zunftordnung, sie durften Gehilfen ausbilden und einstellen, wie sie wollten. Importierte Maschinen, Werkzeuge und -stoffe für handwerkliche Betriebe oder Waren für Läden durften zollfrei nach Kassel eingeführt werden. Ähnliche Proklamationen wie die Freyheits-Concession gab es auch in anderen Teilen Deutschlands, zum Beispiel in Potsdam und in Offenbach am Main.

 

Tatsächlich kamen in der Zeit zwischen 1685 und 1700 ungefähr 4.000 hugenottische Flüchtlinge nach Nordhessen, aber viele verteilten sich auf Dörfer oder gründeten Eines. 700 Hugenotten kamen 1685 bis 1687 in die Stadt Kassel, später (1698) folgten noch einmal so viele.

Die Oberneustadt

Die Oberneustadt als Modell im Stadtmuseum Kassel
Die Oberneustadt als Modell im Stadtmuseum Kassel

 

Da die Kasseler Altstadt aber zu dicht bebaut war und keine neuen Bewohner aufnehmen konnte, und auch die anderen Stadtteile keine Möglichkeit boten, ein Viertel nur für Hugenotten zu bauen, entschied man sich, vor den Toren der Stadt einen neuen Stadtteil zu gründen.

 

Wahrscheinlich waren das Überlegung des Landgrafen, um die Flüchtlinge gleichzeitig gut zu behandeln und als Arbeitskräfte zum Ausbau der Stadt einzusetzen. 1688 legte Landgraf Karl persönlich den Grundstein zu dem neuen Stadtteil, der von da an auf dem Weinberg erbaut wurde: Die Oberneustadt. Paul du Ry, der Architekt und selbst hugenottischer Flüchtling war, entwarf die Pläne mit symmetrisch aufgebauten Straßen und einem Platz in der Mitte, auf dem später (von 1689 bis 1706) die Karlskirche erbaut wurde. Sein Sohn Charles und sein Enkel Simon Louis führten seine Arbeit fort. Den eigentlichen Bau der Häuser übernahmen nicht die Kasseler, sondern, wie Karl wahrscheinlich geplant hatte, die Hugenotten. Aber um diese Tätigkeit angenehmer und verlockender zu gestalten, wurden jenen, die ein Grundstück bebauten, kostenlose Materialien zu Verfügung gestellt und Abgabenfreiheit (= Steuerfreiheit) für zehn Jahre versprochen. Als Gegenleistung musste sich der Erbauer des Hauses an die Pläne du Ry's halten, weshalb die Häuser der Oberneustadt alle im selben Stil erbaut wurden.

 

Blick vom Friedrichsplatz in die Frankfurter Straße
Blick vom Friedrichsplatz in die Frankfurter Straße
Blick auf Kassel vom Heißluftballon
Blick auf Kassel vom Heißluftballon

Diese Methode der Werbung war effektiv und auch gut gelungen, da kein Flüchtling benachteiligt wurde, auch wenn er es sich finanziell nicht leisten konnte, ein Haus zu bauen. Wenn man aber Geld hatte und in der Oberneustadt etwas komfortabler wohnen wollte, dann bot die Regelung ebenfalls etwas an: Die Kosten für das gebaute Haus mussten selber bezahlt werden und mindestens 8.000 bis 10.000 Taler betragen. Dafür hatte man für den Rest seines Lebens Abgabenfreiheit.

Um 1700 waren die meisten Schäden vom Dreißigjährigen Krieg repariert und das Leben der Bürger war wieder relativ ruhig, die Hugenotten hatten einen entscheidenden Teil dazu beigetragen.

 

In der Karlskirche wurde 1710 der erste hugenottische Gottesdienst in einer eigenen Kirche gefeiert (schon 1685 gab es Gottesdienste, allerdings nur in Räumen in der Altstadt). In Kassel durften die Hugenotten ihren Glauben frei ausüben. Noch 150 Jahre später wurden dort Gottesdienste in französischer Sprache gehalten.

Karlskirche und Karlsplatz 1834
Karlskirche und Karlsplatz 1834
Karlskirche nach Zerstörung des Kirchendaches im zweiten Weltkrieg und Wiederaufbau
Karlskirche nach Zerstörung des Kirchendaches im zweiten Weltkrieg und Wiederaufbau

Unzufriedenheit unter Kasselern

Doch die Hugenotten waren bei den Bürgern nicht so beliebt wie beim Landgrafen. Anfangs war die Toleranz gegenüber den Hugenotten größtenteils da. Wenige beklagten sich über die reine Anwesenheit der reformierten Franzosen. Aber dann kam es von Seiten der Kasseler zunehmend zu Beschwerden über die Réfugiés. Durch die Sonderrechte, die die Hugenotten ihr Leben lang genießen durften, erhielten sie einen unfairen Vorteil im Wettbewerb gegenüber anderen Handwerkern oder Händlern aus Kassel, die Zölle und Zunftordnung einhalten mussten. Diesen Punkt seiner Freundlichkeit den Hugenotten gegenüber hätte Landgraf Karl anders formulieren und eine zeitliche Begrenzung der Verordnung hinzufügen müssen.

 

Allerdings waren die Hugenotten selber ebenfalls schuld an ihrer Unbeliebtheit: Angeblich waren sie fromm, doch sie gingen nicht in ihre Gottesdienste und vertrieben ihre Zeit in Bierhäusern, mit Karten- oder Billardspielen. Das ging so lange, bis es ihnen verboten werden musste, sonntags zur Gottesdienstzeit Freizeitaktivitäten nachzugehen, damit sich die Kasseler nicht weiter darüber aufregten. Dabei waren sie selbst nicht besser. Eine Verordnung des Landgrafen sagte über die Bürger der Stadt: „Auch die Bewohner der Festung (…) lustwandelten am Sonntag gern zu den westlichen Toren hinaus, (…) strömten danach in die Cafés der Neustadt, wo (…) Hasardspiele und Billards Anziehungskraft genug ausübten (...).4) Aber die Gründe für die Unzufriedenheit der Kasseler waren berechtigt. Man kann verstehen, dass sich die Kasseler Bürger benachteiligt gefühlt und beschwert haben. Landgraf Karl wollte wohl den Hugenotten einen angenehmen und leichten Start in Kassel und seiner Wirtschaft bereiten. Doch er hätte sie nicht auf Dauer besser behandeln sollen als sein eigenes, ursprüngliches Volk, sondern hätte ihre Rechte denen der übrigen Bürger anpassen müssen.

 

4) Huber, Jörg Adrian: Stadtgeschichte Kassel. Seite 134 / 135. Petersburg. 2012.

Fast ein Jahrhundert später, ab dem Jahr 1766, ließ Landgraf Friedrich (regierte von 1760 - 1785) die damals 300 Jahre alte Stadtmauer schleifen. Durch dieses Ereignis konnte die Oberneustadt mit dem Rest Kassels verbunden werden. Simon Louis du Ry, Enkel von Paul du Ry (siehe oben) plante die Königsstraße, den Königsplatz und den Friedrichsplatz, um den Raum zwischen Oberneustadt und Kassel zu füllen.

Aus der originalen Oberneustadt von 1700 steht heute nur noch die Karlskirche, welche im zweiten Weltkrieg teilweise zerstört wurde und deshalb nun ein neues Dach hat (siehe oben).

Ein Haus an der Friedrichsstraße, welches 1826 von Hugenotten erbaut wurde, ist ebenfalls erhalten, muss aber kernsaniert werden. Derzeit steht es zum Verkauf. Schon allein wegen der hugenottischen Tradition, die in Kassel eine große Bedeutung hat, müsste hier was getan werden5), sagt Inge Böhle, Pfarrerin in der Karlskirche Kassel.

Auch die Märchenerzählerin Dorothea Viehmann (1755 - 1815) stammt von hugenottischen Flüchtlingen ab. Manche ihrer Erzählungen orientierten sich an französischen Märchen. Dank der Tatsache, dass ihre Familie nach Kassel kam, konnten ihre Märchen von den Brüdern Grimm niedergeschrieben und dadurch verewigt werden.

 

(Klicken zum Vergrößern)
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So verlaufen heute die Straßen in Kassel
So verlaufen heute die Straßen in Kassel